Abschiedsgefühlswirrwarr

Während ich am Bahnsteig sitze und auf den Zug nach Hause warte, denke ich an meinen bevorstehenden letzten Tag in der Tagesklinik morgen. Verschiedene Gefühle begleiten diese Gedanken, u.a. sind da:

  • Vorfreude. Innerhalb der letzten Wochen habe ich mehrere Vorhaben gefasst und mit der Umsetzung begonnen. Ich freue mich, den Schwung und das höhere Maß an Stabilität, die mir die Behandlung gegeben hat, hoffentlich mit in den Alltag zu nehmen und weiter und mit mehr Zuversicht als vorher auf meine Ziele und Träume hinzuarbeiten.
  • Stolz. Darüber, dass ich mit einigen meiner Themen bzw. Baustellen hier mehr vorangekommen bin, als ich zu Behandlungsbeginn erwartet hatte. Ich bin stolz auf mich, dass ich mich anscheinend weiterentwickelt habe und das auch von meiner Umwelt bestätigt bekomme.
  • Dankbarkeit. Gegenüber meinem Arzt, der mich selbst hat entscheiden lassen, ob ich tagesklinisch oder stationär behandelt werden möchte und mich beim Entscheiden gut beraten hat. Gegenüber dem Tagesklinikteam, das mich so hilfreich unterstützt hat und sich auch gut mit dem Thema Zwangserkrankungen auskennt (das ist meinen Erfahrungen nach leider nicht überall so). Ich bin dankbar gegenüber meinem Partner, meinen Freunden und meiner Familie, die immer wieder Anteil genommen und mich auf verschiedene Weisen ermutigt haben. Wenn ich ans Aufgeben gedacht habe, hat ihre Rückendeckung oft Halt und Kraft gegeben. Dankbar bin ich auch gegenüber meinen Mitpatienten, die mich von Anfang an freundlich und hilfsbereit in ihrer Mitte aufgenommen haben. Gerade angesichts meiner sozialen Ängste war das für mich eine große Sache. Wir haben einander zugehört, geweint und gelacht und vieles mehr.
  • Wehmut und Abschiedsschmerz. Ich werde am meisten meine Gruppe vermissen. Aber auch Mitpatienten aus den anderen Gruppen, die vielen hilfreichen Gedankenanstöße des ein oder anderen vom Personal, ihre manchmal direkten und dadurch schmerzhaften, aber niemals verletzenden Feststellungen über meine Problematik. Ich werde das gemeinsame Sport Machen, kreativ Sein, Reflektieren der Woche, Ziele Setzen mit meiner Gruppe vermissen.
  • Angst. Davor, im Alltag wieder in alte ungesunde Verhaltens- und Gedankenmuster zurückzufallen. Davor, mein in den letzten Wochen behutsam gewachsenes Selbstbewusstsein und meinen Mut zu Veränderungen zu verlieren. Rückfallangst vor einer weiteren depressiven Episode oder sich wieder verstärkenden Zwangsgedanken.
  • Nervosität und Aufregung angesichts einiger Punkte, die noch nicht (vollständig) geklärt sind, z.B. die Frage, wann/ob ich wieder zurück in meinen bisherigen Studentenjob arbeiten gehe oder mir besser einen anderen suchen soll.

So, genug Gefühlsdusselei für heute.

Ich werde mich jetzt etwas ablenken, indem ich noch ein paar Sachen für meinen Abschied vorbereite (Kuchen für die Mitpatienten und etwas zu Naschen und eine Karte für’s Team) und mich danach wohl mit einer Runde Netflix vergnügen …

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8 Kommentare zu „Abschiedsgefühlswirrwarr

  1. Als Gefühlsduselei sehe ich Deine Gedanken ganz und gar nicht. Sie entsprechen vielmehr in sehr Vielem den meiniugen, wie ich sie ahtte als ich nach siebenwöchigem stationären Aufenthalt aus der Klinik kam. Allerdings noch (lange) nicht in meinen Arbeitsalltag zurück. – Dennoch hatte ich ähnliche Gedanken. Und auch bei mir stand damals nicht fest, wann und wie ich weiter behandelt würde. Glücklicherweise hat sich das dann recht schnell geklärt.

    Vielleicht kannst Du doch zu ein, zwei Personen, Mitpatientinnen oder – patienten doch ein bisschen Verbindung halten. In einem Fall ist mir das gelungen.

    Und, unter anderem, war mir das Schreiben (hier) immer wichtig, wobei ich das Glück hatte, dass mich dabei einige sehr tolle Menschen begleitet haben und begleiten.

    Ich wünsche Dir von Herzen, dass Du den Übergang für Dich zum Guten schaffen wirst, liebe Nelia.

    In diesem Sinne freundliche und ganz liebe Grüße an Dich!

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    1. Danke für deine lieben Worte. Mit dem ein oder anderen Mitpatienten in Kontakt zu bleiben, habe ich mir fest vorgenommen. Mal schauen, was die Zukunft diesbezüglich bringt … Eine ehemalige Mitpatientin vom stationären Aufenthalt ist heute, knapp 2 Jahre später, eine sehr gute Freundin geworden. Das Leben geht manchmal seltsame Wege …

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  2. Wow – ging irgendwie doch richtig schnell vorbei! Ich werde dich auch unter Alltagsumständen lesen, dir Herzen schicken 😉 und dir gegebenenfalls schriftliche Motivation verpassen, wenn du durchhängen solltest.

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    1. Ja, total. Die ersten 1,5 Wochen hatte ich das Gefühlt, die Tage ziehen sich so dahin – alles war neu und fremd, anstrengend, Angst und Anspannung noch recht hoch. Irgendwann findet man dann seinen Rythmus und die Zeit schien ab dann wie im Flug zu vergehen …
      Ich bin sehr froh, so eine tolle, motivierende Blogger-Community wie euch hier zu haben bzw. Teil davon zu sein ♥

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  3. Ich kann elefantenblau nur zustimmen. Die Zeit ging unglaublich schnell vorüber, aber es ist toll zu lesen, dass du ein schönes Päckchen an Möglichkeiten für dich mitnehmen konntest. Die Angst vor dem Alltag ist normal. Schließlich muss sich erst wieder alles neu einspielen. Ich kenne das von meinen Aufenthalten.
    Viele Grüße von Annie

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