Unperfekt und trotzdem schön

Vor einiger Zeit habe ich mich beim Bummeln in diesen Schlüsselhänger verguckt:

Zuerst hatte ich nicht genug Geld dabei. Als sich das dann änderte, zögerte ich trotzdem. Mehrere Euro für etwas, was nur dekorative Zwecke erfüllt? Das kam mir irgendwie verschwenderisch vor. Doch andererseits mochte ich den kargen Anblick meines Schlüsselbunds so gar nicht. Und außerdem, würde der Stress der letzten Wochen nicht eine kleine Belohnung rechtfertigen? Okay, überzeugt und gekauft!

Gleich nach Verlassen des Ladens befestigte ich meine Schlüssel am neuen Anhänger. Ich freute mich in jedes Mal an dem Anblick, wenn ich zum Schlüsselbund griff – bis er mir am nächsten Tag aus der Hand fiel und auf dem Boden aufschlug. Etwas später entdeckte ich dann zuhause einen Riss auf der einen Seite, wo das Glas gesprungen war.

Na toll gemacht, nach einem Tag schon kaputt!

Kurz überlegte ich, ob ich den Anhänger nun abmachen sollte, denn er war ja jetzt nicht mehr so makellos schön wie ich ihn gekauft hatte, sondern sichtbar beschädigt. Und das störte und wurmte mich. Etwas später kam mir dann aber dieser Gedanke:

Warum den Anhänger mit Sprung nicht als Symbol sehen und ganz bewusst behalten?

Als Erinnerung daran, dass nicht nur das Makellose schön sein kann, sondern dass alle Dinge und jeder Mensch mit der Zeit seine Macken und Gebrauchsspuren davon trägt, die einfach zum Leben gehören. Auch ich.

Oft genug noch meine ich, perfekt sein zu müssen, damit ich mich endlich selbst lieben kann und auch alle anderen mich voll akzeptieren und mögen. Das heißt: Ohne meine Erkrankungen, im Studium am besten nur mit Einsern, zu anderen immer freundlich, hilfsbereit und ausgeglichen sein, besser kochen und den Haushalt managen können, die Haare perfekt liegend und weniger starke Augenringe, dünner sein, schlagfertiger, in der Therapie schneller Fortschritte machen … Und vieles mehr, die Liste könnte ich leider noch länger so fortführen.

Dabei weiss ich inzwischen, dass mein Glück von anderen Faktoren abhängt – sehr viel zum Beispiel von meiner Einstellung zu mir selbst. Ich kann glücklich sein, obwohl ich chronisch krank bin, ich kann glücklich sein, auch wenn ich nicht die Beste in etwas bin oder meine Haare mal wieder ihrem eigenen Willen folgen.

Also: Ein Hoch auf das Unperfekte, doch so Lebendige!

9 Kommentare zu „Unperfekt und trotzdem schön

  1. Großartig, Nelia!

    Ich trage eine Armbanduhr, die so viele Geschichten zu erzählen hat, und etliche davon sind an ihrem Äußeren mitzuverfolgen. Sie ist in diesem Jahr 34 (!!!) geworden, und ich werde sie nicht ablegen, so lange es nur irgend geht.

    Hab‘ Deinen Schlüsselanhänger nur lieb. Der wollte zu Dir, wie Du zu ihm! 🙂

    Liebste Grüße!

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    1. Hallo, das ist eine sehr schöne Geschichte mit deiner Armbanduhr! Ich mag es, wenn Dinge eine Geschichte haben … Und der Gedanke gefällt mir, dass der Anhänger zu mir wollte …
      Ganz liebe Grüße, Nelia

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  2. Wunderbare Einstellung und Entscheidung! Und eine ganz tolle Lektion. Weißt du warum? Denn gerade das, was einen Makel hat, kann gerade dadurch perfekt sein, indem es – in diesem Fall dein Schlüsselanhänger – einzigartig und wundervoll ist, wie es ist. So wie es jedes Geschöpf ist. Diesen Perfektionismus, den du vorher erwähnt hast, kenne ich auch. Aber wenn man einmal in dieser Spirale drin ist, sieht man nur die Pflichten und lebt nicht mehr und wird (vielleicht) auch krank.

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    1. Danke für deine lieben Worte! Ich werde versuchen, sie nicht zu vergessen, denn ich finde so viel Wahres darin. Und Perfektionismus, ja, der kann wirklich eine Krux sein …

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  3. Liebe Nelia,
    das hätte mir auch passieren können, denn ich bin ein Schussel in Person und ärgere mich hinterher dann auch über jeden Kratzer, den ich irgendwo hineingemacht habe. Deine Einstellung ist total klasse und ich hoffe du kannst sie immer weiter auch als ‚richtig‘ spüren. Bei mir ist es meist so, dass ich mich erstmal an den Anblick gewöhnen muss, dann finde ich es meist gar nicht mehr so schlimm.
    Viele Grüße von Annie

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    1. Danke 😘 Stimmt, ich erinnere mich an deinen Kindle😉 Ich denke, ich brauche auch noch etwas Zeit zum Drangewöhnen und dann wird es besser.

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  4. Hallo und salam, ich freu mich dass Du ihn behalten hast. Ich hänge meistens an irgendwelchem abgeranztem und kaputten Kram. Für mich haben die Dinge tatsächlich erst Seele, wenn so Dellen und Kratzer vorhanden sind.
    Toll, wenn ich das für mich so klar habe. Da könnt ich mich echt in den Hintern treten, dass ich heute echt wieder ne miese Muddi war, weil ich aufgeräumt habe und irgendwelchen Kram weggeschmissen habe, der vielleicht für mich Müll war aber für meine Kiddies voll wertvoll. Kommt mir grad in den Sinn und ich schäme mich. Aber Gott sei Dank, war es nicht viel. Und demnächst wird das dann anders gemacht.Dir auf jeden Fall eine schöne Zeit mit Dienem Anhänger. Hoffe, er wird Dich lange blegleiten!

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    1. Hallo, Kinder sind in der Hinsicht (und in vielen anderen auch, finde ich …) ein sehr gutes Vorbild. Sie haben ihre kleinen Schätze aus altem Spielzeug, Muscheln, Stöcken, Kastanien und Co. , die sie wertschätzen und hüten. Außerdem sind sie so kreativ, mein kleiner Neffe (2) konnte z.B. einmal ewig lang mit den Wäscheklammern seiner Mutter spielen, ohne dass es ihm langweilig geworden wäre 😊
      Shokran für deinen Kommentar und Salam au Maroc,
      Nelia

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