„Ich dachte, du hast Therapie gemacht“, so ähnlich kommentiert meine Mutter, als ihr Blick zufällig auf meine Beine fällt. Wegen des schönen Wetters trage ich T-Shirt und Rock, unter dem Rock noch eine dünne Leggings, die nicht ganz bis zu den Knöcheln reicht. Die Leggins habe ich an, weil ich mich in kurzen Röcken generell unwohl fühle – und weil ich mich momentan für den Zustand meiner Beine schäme. Also versuche ich meistens, sie zu verstecken.
Den Augen meiner Mutter entgehen jedoch auch die wenigen Flecken Haut nicht, die die Leggings nicht bedeckt. Sie sieht die Stellen, wo ich mir in den letzten Wochen oft mit der Pinzette Haare herausgezogen und dafür im Falls von eingewachsenen Häärchen auch tief „gebohrt“ habe.
„Was hast du da? Das ist ja borderlinemäßig„, meint sie.
Ich versuche ihr zu erklären, dass Borderline und Trichotillomanie verschiedene Krankheitsbilder sind.
„Früher hattest du das aber nicht“. Ihr Tonfall klingt vorwurfsvoll für mich.
„Äh, doch“, denke ich. „Früher hatte ich das auch schon. Als Teenager. Nur waren es da andere Körperstelle und ich hatte längere symptomfreie Intervallen dazwischen als jetzt. Momentan habe ich das leider nicht gut im Griff. Ich weiß selbst, dass das nicht gut ist und finde es auch nicht toll von mir.“ Aber sagen tue ich das nicht. Stattdessen schlucke ich es, weil ich Angst vor Auseinandersetzungen habe. Mal wieder.
Später, als meine Mutter unterwegs ist, beklage ich mich bei meiner Schwester, weil ich mich unverstanden und vor den Kopf gestoßen fühle wegen dem, was unsere Mutter gesagt und vor allem, wie sie es gesagt hat. Meine Schwester erwähnt das später unserer Mutter gegenüber in einem Nebensatz. Mama hakt nach: Warum ich mich denn angegriffen fühle?
„Ich habe mir doch nur Sorgen gemacht, als ich das gesehen habe. Du weißt doch, dass ich direkt bin.“
Und irgendwie verraucht bei diesen Worten ein großer Teil meiner Wut. Denn ich weiß, meiner Mutter fällt es allgemein schwer, über Gefühle zu sprechen. Sie zeigt eher durch Handeln als durch Worte, dass sie meine Geschwister und mich liebt und an unserem Leben Anteil nimmt. Und das Thema psychische Erkrankungen war lange ein rotes Tuch für sie nach Jahren der letztlich in die Brüche gegangenen Ehe mit meinem Vater, der seine (tatsächlich vorhandene) seelische Erkrankung oft als Ausrede benutzt hat für sein mieses Verhalten ihr gegenüber. Aber mir zur Liebe bemüht sie sich umzulernen und am Ende ist es das, was zählt.
„Wie viel einfacher wäre das Leben, wenn wir alle direkt offener miteinander kommunizieren würden“, denke ich.