In diesem Post möchte ich euch eine Form von Zwangsgedanken vorstellen, die im deutschsprachigen Raum weniger bekannt zu sein scheint als im englischsprachigen und unter der ich aktuell am meisten leide: existentielle Zwangsgedanken oder auf Englisch „existential OCD“. Ich persönlich nenne sie für mich auch philosophische Zwangsgedanken.
Was genau man sich darunter vorstellen kann? Kurz und knapp: Zwangsgedanken, die sich um philosophische bzw. existentielle Fragen drehen. Das können Fragen sein wie:
„Gibt es einen freien Willen?“
„Ist unser Leben vorherbestimmt?“
„Ist die Welt um mich herum wirklich echt oder ist es vielleicht nur eine Scheinrealität wie in „Matrix“?“
Solche Fragen bzw. Überlegungen drängen sich Menschen mit „existential OCD“ immer wieder auf und erzeugen unangenehme Gefühle – in meinem Fall wäre das Angst, die sich bis hin zu Panikattacken steigern kann. Eine darauf folgende Zwangshandlung könnte sein, stundenlang über derartige Fragen nachzugrübeln odef innerlich Argumente abzuwägen. („Was spricht dafür/dagegen, dass alles vorherbestimmt ist? “ etc.). Man spräche ich diesem Fall von mentalen Zwangshandlungen, da Grübeln ja etwas ist, das nach außen hin nicht sichtbar ist.
Ich empfinde diese Art von Zwangsgedanken als quälend, weil mit ihnen für mich die Angst einhergeht, den Verstand zu verlieren, da ich ja scheinbar so „verrückte“ Dinge denke. Verstärkt wird dieser Mechanismus besonders, wenn ich gleichzeitig noch unter Derealisation oder Depersonalisation leide. Ebenfalls als belastend erlebe ich den Umstand, dass es ja nun einmal keine endgültigen Antworten auf solche philosophische Fragen gibt, sondern nur viele verschiedene Antwortversuche, z. B. seitens der Philosophie und Religionen. Ein Umstand, den mein zwangsgestörtes Gehirn mit seinem Wunsch nach absoluter Gewissheit so gar nicht lustig findet 😉
Filme wie Matrix oder die Trueman-Show mag ich mir in Folge dessen seit einiger Zeit nicht mehr anschauen und im Studium habe ich damals das Philosophiemodul abgebrochen, da es mich innerlich ganz konfus gemacht hat. Klares Vermeidungverhalten, liebe Mit-Zwängler, bitte nicht nachmachen …
Für Außenstehende hört sich das Ganze vielleicht skurill an, weil es sehr abstrakt anmutet. Doch wie bei allen Zwangsgedanken und Zwangshandlungen gilt auch hier: Für Betroffene ist die Lage mit Leidensdruck verbunden.
Hilfe bieten wie bei anderen Zwangsthemen auch Expositionübungen und ein Abbau des Vermeidungverhaltens.
Hier der Link zu einem sehr guten englischsprachigen Artikel zum Thema:
To Be Or Not To Be, That Is The Obsession: Existential and Philosophical OCD
Guten Morgen ☀️
Gehören diese Zwangsgedanken dann nach ICD oder DSM auch zu den Zwangserkrankungen – auch wenn nach außen hin keine sichtbaren „Handlungen“ erkennbar sind? Oder sind sie noch gar nicht wirklich klassifiziert?
Ich bin schon mal von meiner Therapeutin auf dieses Thema gestoßen worden, als sie von „zwanghaftem Grübeln“ im Rahmen depressiver Erkrankungen sprach. Zu dem Zeitpunkt konnte ich damit erstmal überhaupt nichts anfangen, weil im Allgemeinen bei Zwängen und Zwangserkrankungen aktive (sichtbare) Handlungen im Fokus zu sein scheinen. Ich spreche mich davon auch nicht frei. Bei Zwangserkrankungen denke ich immer zuerst an z.B. Waschzwänge oder zwanghaftes, oft zählendes Wiederholen bestimmter Handlungsabfolgen.
Danke, dass du nochmal darauf aufmerksam machst, dass es so viel mehr bedeuten kann!
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Hallo,
eine sehr gute Frage!
Man unterscheidet nach außen sichtbare Zwangshandlungen wie z. B. das klassische Händewaschen, Kontrollieren von verschiedenen Dingen oder Wiederholen diverser Handlungen und mentale Zwangshandlungen. Letztere können z. B. zwanghaftes Grübeln sein oder das bewusste Denken eines „guten“ Gegengedankens nach einem „bösen“ Zwangsgedanken.
Leider finden sich in der deutschsprachigen Fachliteratur und in den Medien fast nur Beispiele für äußerlich sichtbare Zwangshandlungen, in den USA wird das Thema differenzierter betrachtet. Mir war deswegen z. B. lange Zeit nicht bewusst, dass ich auch mentale Zwangshandlungen ausführe!
Die Unterscheidung, ob es sich um zwanghaftes Grübeln im Rahmen einer Depression oder um eine eigenständige Zwangserkrankung handelt, soll auch für Fachleute nicht immer einfach sein, es gibt aber wohl gewisse Indizien.
Liebe Grüße 😊
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P. S: Im ICD 10 würden so eine Art der Zwangserkrankung wahrscheinlich mit F42.0 verschlüsselt werden: als „Zwangsstörung mit vorwiegend Zwangsgedanken/Grübelzwängen“.
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Heii:)
Ich wollte fragen, ob sich diese existenziellen Zwangsgedanken alles mögliche greifen können?
Ich habe seit mehreren Wochen die Angst Schizophren zu werden. Ich habe den Fehler gemacht und gegoogelt und bin auf die Symptome gestossen. Seit da denke ich mir immer wenn ich mit jemandem rede dass dieser sicher meine Gedanken lesen kann. Ich habe solche Angst vor diesem Gedanken und will ihn einfach nur loswerden. Ich weiss dass es nicht möglich ist dass andere meine Gedanken lesen können aber ich habe Angst es irgendwann zu glauben da er immer präsent ist.
Gehört das auch zu Zwangsstörungen oder ist da wirklich eine Psychose dahinter?
Liebe Grüsse
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Hallo Ronja,
die Angst davor, schizophren bzw. psychotisch zu sein oder zu werden ist ein ganz klassisches Zwangsgedanken- Thema, im amerikanischen Raum nennen sie das „schizophren OCD“. Ich hatte das früher auch eine zeitlang. Man kann es aber gut behandeln!
Ich würde dir empfehlen, dir einen guten Therapeuten zu suchen, der Erfahrung mit der Behandlung von Zwängen hat und in der Zwischenzeit vielleicht schon mal auf OCD-Land zu lesen. Das ist eine tolle Informationsseite, die von einem selbst Betroffenen gegründet wurde. Sie haben dort Info-Artikel zu den verschiedenen Subtypen von Zwangsstörungen, Schizophrenie-OCD müsste auch dabei sein.
Liebe Grüße
Nelia
P.S: Zu mir meinte damals mal ein Psychiater, solange man sich noch fragt, ob man psychotisch ist, ist man es in der Regel nicht 😉 Psychoserkrankten fehlt anders als Zwangserkrankten die Einsicht.
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Hallo Nelia
Danke für deine Antwort!
Ja das mit dem Schizophrenia OCD habe ich auch schon gelesen. Ich war am Anfang voll beruhigt, dass ich gefunden habe worunter ich leide. Jetzt haben sich aber diese Gedanken bezüglich dem Gedankenlesen eingeschlichen. Darüber habe ich nichts gefunden und bin in Panik geraten.
Ich bin im Moment auf der Suche nach einem geeigneten Therapeuten. Ich bin im Moment bei einer Therapeutin aber sie will EMDR mit mir machen. Sie sagte man kann keine Verhaltenstherapie mit meinen Zwängen machen.
Ja das habe ich auch schon gehört und habe dadurch Angst bekommen die Krankheitseinsicht zu verlieren.
Ich drehe mir immer alles zum schlimmsten:/
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Hallo,
Solltest du neben der Zwangserkrankung noch eine andere Erkrankung haben wie eine PTBS oder oder, kann es natürlich sein, dass es Sinn macht, erst diese zu behandeln. Dann könnte auch EMDR Sinn machen. Aber wenn es eine reine Zwangsstörung ist, sollte eigentlich kognitive Verhaltenstherapie mit Expos das Mittel der Wahl sein.
ich drücke die Daumen, dass du bald jemand Guten findest!
EMDR ist ein Traumatherapiev erfahren, das manchmal auch bei anderen Erkrankungen eingesetzt wird, primär ist es aber bei Zwangsstörungen nicht indiziert. Die Aussage dieser Therapeutin klingt komisch in meinen Augen, Verhaltenstherapie mit Expositionsübungen ist das Therapieverfahren schlechthin für Zwangsstörungen, egal ob Zwangshandlungen oder Zwangsgedanken! Therapeuten, die sich nicht gut in der Materie auskennen, treffen aber manchmal andere Aussagen und verunsichern dadurch Klienten. Ohne die Dame zu kennen würde ich aus der Entfernung vom Lesen her jetzt sagen, dass es nicht den Eindruck macht, als hätte sie viel Erfahrung mit Zwangsstörungen
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Ich dachte mir schon dass sie ein wenig komisch wirkt. Sie ist sehr auf der spirituellen Schiene. (was ich nicht schlecht finde aber ich will lieber jemanden der sich mit der „Schulmedizin“ auskennt.
Ich habe keine PTBS, ich weiss nicht wieso sie EMDR machen will.
Ich habe mal ein paar angeschrieben, die sich mit Zwangsstörungen auskennen. Danke für deine Hilfe! ❤
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Gerne! Und ich drücke die Daumen 🧡 Bei weiteren Fragen gerne melden.
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Vielen Dank für deine Antwort.
Okey ich habe noch ein wenig Hoffnung, ich hoffe ich finde bald einen Therapeuten. Ich habe schon ziemlich alle Artikel darüber gelesen. Es hat mir einfach so Angst gemacht, dass niemand dass mit dem Gedankenlesen hat. Deshalb mache ich mir solche Sorgen.
Ich hoffe dir geht es heute besser:)
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Hey,
das kann ich gut verstehen, der Zwang ist fies und pickt sich immer jede Kleinigkeit raus, um einen zu verunsichern und davon zu überzeugen, dass man doch keine Zwangsstörung hat, sondern etwas Anderes 😕 Ich habe ja aktuell ROCD (Beziehungszwangsgedanken) und kenne es auch, dass ich da manchmal Gedanken habe, die ich nirgends in Büchern oder so zu dem Thema finde und dann gleich wieder denke: „Es ist doch kein ROCD bei mir, ich will wirklich meinen Partner betrügen/die Beziehung beenden/whatever“. Das ist so mies.
Danke ja mir geht es heute besser, hoffe, dir auch 😊
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Oh ups, da habe ich wohl zweimal geschrieben, dachte der erste Kommentar kam nicht an 🙈
Der Zwang ist echt sehr schlau, das macht es sehr schwierig😅
Es tut gut mit jemandem zu schreiben dem es genauso geht🥰
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