Nun gut

Da ist sie also, eine neue depressive Episode. Wie ein unerwünschter Gast hat sie sich innerhalb von ein paar Wochen in mein Leben gestohlen.

Sie zeigt mir einerseits, dass ich insgesamt doch noch nicht so gefestigt bin wie gedacht – andererseits aber auch, dass ich meine Frühwarnzeichen inzwischen ziemlich gut kenne und deutlich mehr Coping-Strategien habe als noch bei den ersten Episoden. Während ich früher in der Depression z.B. starke Probleme hatte mit zeitigem Aufstehen, Haushalt und genug Bewegung, klappt das nun ziemlich gut.

Zum Teil liegt das vielleicht auch darin begründet, dass ich inzwischen laut Hausarzt eine sogenannte agitierte Depression habe. Statt wie früher mit Antriebslosigkeit kämpfe ich nun vielmehr mit innerer Unruhe und getrieben Sein während einer depressiven Episode. Ich habe Probleme damit, mich nur auf eine Sache zu konzentrieren, springe teils von Tätigkeit A zu B und habe vor allem Schwierigkeiten damit, länger Ruhe auszuhalten.

Generell neige ich seit einiger Zeit dazu, mich in Aktivitäten zu flüchten, um bestimmte Gefühle zu vermeiden, die in solche stillen Momenten aufkommen und mir manchmal unerträglich scheinen – wobei all dieses aktiv Sein mit zu wenig Pausen dann aber irgendwann logischerweise zu Erschöpfung führt. Dazu Ängste, Panikattacken und sich dazu mogelnde Zwangsgedanken, die ebenfalls aufpushen.

ABER:

Die größten Faktoren dafür, dass ich zur Zeit trotz Depression recht viele Dinge angehe und schaffe, sind vor allem meine mit der Zeit erworbenen Selbsthilfestrategien und Therapieerkenntnise. Und darauf bin ich stolz. Ja, es geschehen noch Zeichen und Wunder, ich bin tatsächlich mal stolz auf mich #sarkasmusende

Manchmal fühlt es sich trotzdem nach Versagen an: einen Rückfall bekommen zu haben, trotz inzwischen mehreren Jahren Therapie, trotz medikamentöser Rückfallvorbeugung, trotz der ganzen Fortschritte und Selbsterkenntnisse in den letzten Jahren, trotz der Ausbildung, die mir Freude macht und eine Motivation für die Zukunft ist. Dann quält mich mein depressives Hirn mit Gedanken wie:

„Selbst schuld.“

„Vielleicht willst du ja absichtlich krank bleiben!?“

„Anderen geht es schlechter, du hast kein Recht, so rumzujammern und deine Behandler zu nerven. Du musst das jetzt allein schaffen und aushalten.“

„Du willst doch nur Aufmerksamkeit. Du bist gar nicht richtig krank.

… und dergleichen Nettigkeiten mehr.

Allerdings kenne ich diese Gedanken schon von früheren depressiven Phasen und bemühe mich daher, sie als Krankheitssymptom zu betrachten – und nicht als Wahrheit.

Aber ja: Es tut (manchmal sogar schrecklich) weh, wieder depressiv geworden zu sein, insbesondere, da es mir die letzten Monate bis auf mehr oder minder kleinere Einbrüche gut ging. Es ist, als würde man einem Kind einen besonders leckeren Lolli hinhalten, es probieren lassen – und ihm den Lolli dann wieder wegnehmen.

Vielleicht habe ich mich auch ein wenig zu sehr anstecken lassen von der Euphorie, die die Ausbildung teilweise in mir ausgelöst hat. Darüber hatte ich letztens erst ein interessantes Gespräch mit einer Mitschülerin. Habe – ungewöhnlich für meine Verhältnisse – tatsächlich zeitweise daran geglaubt, irgendwann komplett genesen zu können, nur „durch Kraft meines eisernen Willens“ #pathetischkannsie Obwohl ich durch die intensive Auseinandersetzung mit Behandlungsleitlinien, Fachliteratur und dem Miterleben diverser chronischer Krankheitsverläufe im Familienkreis eigentlich weiß, dass eine vollständige Heilung in meinem Fall unwahrscheinlich ist. Zwangsstörungen verlaufen oft chronisch und eine rezidivierende Depression rezidiviert nun einmal gerne, Überraschung!

Nun gut, also entscheide ich mich bewusst für Akzeptanz. Ohne mich dabei von Prognosen und Statistiken verrückt machen zu lassen, wie der Literatur als hoch beschriebenen Rückfallwahrscheinlichkeit ab einer bestimmten Anzahl depressiver Episoden in der Vorgeschichte. Auch wenn das Akzeptieren immer noch weh tut. Und hin und wieder zu sinnlosen, wütenden Fragen in meinem Kopf führt wie:

Warum darf ich nicht gesund sein? Ich strenge mich doch so an!

Kindliche Fragen und Gedanken. Denn, liebes wütendes, manchmal verzweifelndes Ich, es gibt leider kein Recht auf Gesundheit im Leben. Also, lass es uns mit Fassung und würdevoll tragen. Auf solche Fragen gibt es keine Antworten und sie tragen auch nicht dazu bei, dass du dich besser fühlt. Im Gegenteil.

Deshalb lautet die aktuelle Devise:

ein Tag nach dem anderen, notfalls eine Stunde nach der anderen. Weiterhin für mich kämpfen und nicht aufgeben. Auch wenn es sich nicht immer so anfühlt, es wird wieder besser werden. Was ich schon mehrfach geschafft habe, schaffe ich auch erneut. Ich gehe durch die Dunkelheit und werde mich nicht darin verlieren. Und an ihrem Ende wird es mir wieder besser gehen und ich kann als das Gute, Schöne, Wertvolle, Helle in meinem Leben wieder genießen. Und weiter auf meinem Weg voranschreiten – auch wenn dieser wohl nicht in kompletter Genesung enden wird.

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Häusliche Gewalt

(überarbeiteter alter Post)

Ein paar Assoziationen und Fakten. Häusliche Gewalt

… ist nach Außen nicht immer (eindeutig) erkennbar.

… ist in allen sozialen Schichten, Kulturen und Altersgruppen anzutreffen.

… umfasst nicht nur körperliche Gewalt, sondern kann sich z.B. auch in emotionaler Erpressung äußern oder regelmäßiger Abwertung des Partners. Sie kann sich darin zeigen, sexuell Druck auszuüben oder übergriffig zu werden, in finanzieller Kontrolle oder im Überwachen/Einschränken von Freizeitaktivitäten,  im  Versuch, den Partner von Freunden und Familie zu isolieren und in vielem mehr.

… wird oft begleitet von stummen Hilferufen, denn da ist nämlich …

… ganz viel Scham, die dich daran hindert, dir Hilfe zu holen.

… führt dazu, dass du ihn* gegenüber Freunden und Familie immer wieder in Schutz nimmst, wenn sie sein Verhalten kritisieren, obwohl du tief im Inneren weißt, dass sie Recht haben.

… heißt, sich wie auf Eierschalen durch die Wohnung zu bewegen aus Angst, durch irgendetwas sein Missfallen zu erregen.

… wenn er es immer wieder schafft, in dir Schuldgefühle zu erzeugen, obwohl du nichts falsch gemacht hast …

… und du irgendwann anfängst, an deiner eigenen Wahrnehmung zu zweifeln, weil „nicht sein kann, was nicht sein darf“.

… hat zur Folge, dass du schleichend immer mehr deinen Glauben an dich selbst und deine Lebensfreude verlierst …

…  und du dich innerlich Hin- und Hergerissen fühlst zwischen dem Wunsch zu gehen und dem zu bleiben.

… ist die immer wieder enttäuschte Hoffnung, dass sich in eurer Beziehung etwas zum Positiven ändern wird.

… Einsamkeit, auch in Gesellschaft lieber Menschen.

… das Gefühl, in einer aussichtslosen Situation gefangen zu sein.

… innerer Schmerz, für den du keine Worte findest.

… wenn du körperliche und/oder seelische Probleme entwickelst durch die permanente innere Anspannung …

… und du dich irgendwann fragst, wie du an diesen Punkt kommen konntest, denn „so etwas“ passiert doch nur anderen, nicht dir, dachtest du.

…. ist, wenn du dich in deinem eigenen Zuhause nicht mehr wohl und sicher fühlst.

…. ist niemals gerechtfertigt!

… ist nichts, wofür du dich als Betroffene(r) schämen müsstest!

… ist strafbar!

… ist kein Merkmal einer gesunden Beziehung.

ist etwas, was du nicht weiter ertragen musst. Es gibt Hilfe; du musst nicht alleine da durch! Du hast ein friedliches, gewaltfreies Leben verdient, mit Menschen an deiner Seite, die dich wirklich zu schätzen wissen und dich liebevoll und respektvoll behandeln.

(* Der Einfachheit halber benutze ich hier die männliche Form, was nicht bedeuten soll, dass die Täter im Falle häuslicher Gewalt immer männlich und die Opfer weiblich sind! Auch Frauen können Täterinnen und Männer Opfer sein. Ebenso kann häusliche Gewalt in homosexuellen wie in heterosexuellen Beziehungen stattfinden.)

Mein Anker

In der Ergotherapie ging es diese Woche um die hohen Leistungsanforderungen, die ich an mich selbst stelle und darum, dass ich meine Erfolge oft noch nicht als solche würdige. (Wobei es mit beidem schon deutlich besser geworden ist als früher.)

Ein zentraler Punkt dabei sei, so meine Ergo, dass ich mich mit gesunden Gleichaltrigen vergleiche – logisch, dass ich bei diesen Vergleichen dann schlechter abschneide.

Sie wollte mir vermitteln, dass es ja nicht so sei, dass ich meine Lebensträume und Ziele nicht erreiche – ich würde sie erreichen, nur eben in manchen Bereichen langsamer, in meinem Tempo. (Einer Aussage, der ich nicht komplett zustimme, aber das jetzt zu erklären würde den Rahmen dieses Posts sprengen …). Und dass diese Langsamkeit, die ich mir selbst noch oft vorwerfe, nicht auf mein „Versagen“ zurückgehe, sondern auf meine Erkrankungen. Dafür fand sie eine in meinen Augen sehr treffende Metapher: die eines drei Kilo schweren Ankers, den ich hinter mir her ziehe und mit dem ich selbstverständlich nicht so schnell vorankomme wie jemand ohne so einen Balast.

In den letzten Monaten ist es schon spürbar besser geworden als früher, aber trotzdem verdränge ich die Schwere meines Ankers immer wieder noch bzw. rede sie klein, obwohl es genug Punkte gibt, die das Gegenteil beweisen:

Einen Schwerbehindertenausweis bekommt man nicht ohne Grund.

In Arztbriefen stehen nicht aus Jux Formulierungen wie „komplex- komorbides Krankheitsbild“ und „schwere Zwangsstörung“.

Ich habe mir also vorgenommen, dass ich in Zukunft an meinen Anker denken möchte, wenn ich mich mal wieder selbst abwerte, weil ich nicht so leistungsfähig bin wie mein altes Ich bzw. gesunde Gleichaltrige.