Es ist okay

Meine Liebe,

es ist okay, wenn du dich an manchen Tagen am liebsten zuhause vor der Welt verkriechen möchtest, dort, wo es sicher und gemütlich ist.

Es ist okay, wenn du phasenweise müde bist und enttäuscht, wenn Symptome sich zurückmelden und dir dann einfach nur wünschst, „ganz“ gesund zu sein.

Es ist okay, um deine Ehe zu trauern und das Gefühl zu haben, niemand versteht deinen Schmerz.

Es ist okay, dir manchmal so sehr eine eigene Familie zu wünschen und sich gleichzeitig zu fragen, ob du überhaupt eine gute Mutter sein könntest.

Es ist okay, manchmal in den Spiegel zu schauen und dich zu fragen, wo die Jahre geblieben sind und wütend und traurig darüber zu sein, wie viel Zeit dir deine Krankheiten getrübt haben.

Es ist okay, genug zu haben von dem ganzen Corona-Irrsinn.

Du darfst all das fühlen und noch mehr.

An dieser Stelle würde ich gerne mit „in Liebe“ enden, aber da ich weiß, dass du dich mit Selbstliebe noch schwer tust, bleibe ich bei „herzliche Grüße“,

dein Ich

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Theorie und Praxis

Es ist ein Unterschied, ob du in der Ausbildung theoretisch über den Umgang mit Suizidalität und Suizidversuchen sprichst oder in der Praxis damit konfrontiert wirst durch Patient*innen, zu denen du vielleicht einen besonderen Draht aufgebaut hast.

Ich wusste, dass ich irgendwann unweigerlich auf der Arbeit mit dieser Thematik konfrontiert werde; die Frage war nie ob, sondern wann. Das gehört zu diesem Arbeitsfeld eben dazu, genauso wie z. B. Fremdgefährdung ein Thema werden kann. Wobei Letzteres bei uns auf Station sehr selten vorkommt, würde ich behaupten. Ersteres dagegen häufiger, weil zu uns vor allem Menschen mit Depressionen kommen und Suizidalität nun einmal nicht selten ist im Rahmen von depressiven Störungen.

Als Berufsneuling habe ich noch nicht die Routiniertheit und Professionalität meiner Kolleg*innen im Umgang mit solchen besonderen Situationen. Deswegen waren die letzten Arbeitstage für mich mit emotionalen Augenblicken versehen und ich übe mich noch darin, damit umzugehen. Dabei hilft besonders Selbstfürsorge nach Feierabend und auch der Austausch mit Menschen, die im gleichen beruflichen Kontext tätig sind. Und auch, mir zu sagen: Es ist okay, wenn mich derartige Situationen berühren (solange sie mich nicht überwältigen), denn ich bin ein fühlender Mensch und keine Maschine.

Unerwartet

Ich hatte nicht damit gerechnet, das neue Jahr mit einer depressiven Episode zu starten. Schon gar nicht mit einer schweren, in Verbindung mit einem ekelhaften Ausmaß an Zwangsgedanken und Panikattacken.

Noch vor rund anderthalb Wochen konnte ich mir nicht vorstellen, wie ich die Dunkelheit dieses Mal überwinden sollte, zu absolut und endgültig fühlte sich alles an. Hört sich melodramatisch an, aber so empfand ich es phasenweise.

Doch irgendwann begannen die Gegenstrategien und Hilfsmaßnahmen zu greifen und so kämpfe ich mich aktuell weiter aus dem Loch, das versucht hat mich zu verschlingen und das ich verdammt noch mal nicht gewinnen lassen will.