Impftermin mit Hindernissen ;-)

Der zweite Impftermin steht an, dieses Mal an einem anderen Ort als beim ersten Mal. Am Tag davor merke ich, wie sich allmählich Anspannung in mir aufbaut:

Werde ich das mir bis dato unbekannte Gebäude gut finden? Und wie werde ich mich innerhalb des Gebäudes zurechtfinden? (Beim ersten Termin lief das alles etwas unübersichtlich ab.) Was, wenn es keine Ansprechpartner vor Ort gibt und ich mich verlaufe? Werde ich nach der Impfung wieder Allergiesymptome entwickeln und was, wenn diese schlimmer werden als nach der ersten Impfung oder ich sogar einen allergischen Schock entwickle? Mein Kopfkino malt sich fröhlich Szenarien aus.

Zeitsprung, der Impftag ist gekommen. Dank Google Maps und Co. finde ich den Weg gut und komme etwas zu früh an, sodass ich noch einen Moment in der Sonne sitzen und lesen kann. Das beruhigt mich. Nun geht es ins Gebäude hinein, wo ein Mann die Ankommenden begrüßt, die Temperatur misst und die Besucher weiterleitet. Es gibt also einen Ansprechpartner, sehr gut. Doch als er mir Anweisungen gibt, merke ich erstmals an diesem Tag Angstsymptome: Meine Hände zittern beim Überreichen des Impfbogens. Es ist mir unangenehm und ich würde gerne aus seinem Sichtfeld verschwinden. Hallo, soziale Phobie.

Der Mann leitet mich weiter und ich komme an einer Absperrung entlang, der ich folgen soll. Natürlich gehe ich falsch herum und werde zurechtgewiesen. Zwar freundlich, aber allein auzufallen lässt meine sozialen Ängste weiter aktiv sein.

Nun soll ich mich in den Wartebereich im Flur hinsetzen. Ich sitze kaum, als eine Mitarbeiterin mich anspricht und nach meinem Anamnesebogen fragt. Ich händige ihn ihr wie gewünscht aus. „Auch den Impfpass?,“ frage ich, was sie bejaht. „Hättest du dir eigentlich denken können,“ schimpft mich mein innerer Kritiker aus und wieder fühle ich mich wie der Tollpatsch vom Dienst. Da ich merke, das mein Anspannungslevel hoch ist, versuche ich es mit einer Atemübung. Erfolg nur bedingt. Doch viel Zeit zum Durchatmen (oder Grübeln …) bleibt mir auch nicht, denn ich werde zeitnah in dem Impfraum gerufen. Dort befinden sich drei Mitarbeiter in weißen Kitteln, was meine Angst gleich noch höher schießen lässt. Ich weiß, es besteht kein Grund dazu, aber dass es doch mehr „Fremde“ sind als gedacht reicht schon, um meinen Puls in die Höhe zu treiben. Anscheinend sieht man mir meine Gemütslage an, denn der Arzt fragt mich nach kurzem Smalltalk direkt, ob ich denn Angst vorm Impfen hätte. „Nicht vorm Impfen, sondern mehr vor der sozialen Situation,“ erkläre ich und oute mich kurzerhand. Daraufhin fragen der Arzt und seine Mitarbeiterin mich über meine soziale Phobie aus, während sie gleichzeitig die Impfung vorbereiten und dann durchführen. Klassisches Ablenkmanöver. Ein Teil von mir ist dankbar, dass sie mir helfen möchten, dem andere Teil ist es sehr unangenehm, dass wir gerade über dieses Thema sprechen müssen, so als würde der Fokus auf die sozialen Ängste diese noch verstärken. Während der Unterhaltung bemerke ich, dass Derealisation eingesetzt hat: Es kommt mir vor, als sei die Welt um mich herum unecht und als seien meine Gesprächspartner weit von mir entfernt. Ich muss also gerade wirklich angespannt sein.

Um so erleichtert bin ich, als es geschafft ist und ich das Zimmer Richtung Nachbeobachtungsraum verlassen kann. Immer noch zittrig lasse ich mich dort auf einen freien Platz sinken und warte die halbe Stunde ab, bis ich gehen und mich auf den Weg zur Arbeit machen kann. In meinen Gedanken hallen die Situationen noch nach, ich schäme mich für meine sozialen Ängste und bin besorgt, ob zeitnah erste Allergiesymptome einsetzen werden. Zu schade, dass ich nach der ganzen Chose nicht frei habe!

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Aufgenommen

Mein zweiter Tag auf der Depressionsstation neigt sich dem Ende zu. Mein Kopf fühlt sich wie mit Watte gefüllt an, deswegen gerade nur Stichpunkte:

  • Mein Zimmer ist ein Zweierzimmer mit eigenem Bad und relativ hell. Das kenne ich auch anders und bin deswegen froh darum.
  • Meine Zimmernachbarin ist nett, wird allerdings morgen entlassen. Zu den anderen Mitpatienten hatte ich bisher wenig Kontakt #hallosozialeängste
  • Diese Woche habe ich kaum Therapieprogramm, sondern soll mich erst einmal eingewöhnen.
  • Das Personal scheint bisher freundlich und unterstützend zu sein.
  • Mein Antidepressivum wurde jetzt auf Höchstdosis gesetzt. (Bei Zwangsstörungen geht man generell höher mit der Dosis als bei Depressionen.) Jetzt heißt es Geduld haben und abwarten, ob das eine Verbesserung bringt.
  • Bisher weiß ich noch nicht, wer meine Bezugspflegekraft und mein Bezugstherapeut sind, was mich etwas unruhig macht, denn ich kenne es so, dass man das als Patient bereits am ersten Tag erfährt. Ich hoffe, das klärt sich noch vorm Wochenende.
  • Ich versuche irgendwie durch den Tag zu kommen und durchzuhalten, auch wenn mir phasenweise immer wieder nach Aufgeben ist.
  • Mein Mann hat nach Besuchszeiten gefragt, aber ich fühle mich dem momentan nicht gewachsen und habe abgeblockt.

Über’s vermeintliche Ertrinken

Inzwischen hatte ich zum ersten Mal die Psychoedukationsgruppe für Patienten mit Zwangserkrankung. Ich freute mich darauf und war gespannt, ob ich Neues dazu lernen oder vor allem auf schon Bekanntes treffen würde. Im Nachhinein: Die Basics kannte ich schon durch meine erste stationäre Behandlung und diverse Selbsthilfebücher. Aber es waren auch für mich neue Punkte dabei, die sich aus der Diskussion und dem Erfahrungsaustausch mit meinen Mitpatienten ergaben.

Irgendwann kam dann aber der Wendepunkt im Laufe der Gruppensitzung, an dem meine Stimmung von „alles im Lot“ ins Gegenteil kippte. Genauer gesagt dann, als der Therapeut spontan eine kleine Übung mit uns machen wollte, die um’s magische Denken kreiste und dazu gedacht war zu verdeutlichen, dass auch gesunde Menschen manchmal abergläubische Verhaltensweisen und Unbehagen bei diesem Thema zeigen.

Für mich stellte das Ganze allerdings eine unerwartete Konfrontationsübung dar, da es zufällig um einen meiner quälensten Zwangsgedanken ging. Kurz nachdem der Therapeut die Übung erklärt hat, spürte ich Angst in mir aufkommen und immer mächtiger werden. Ziemlich schnell sagte ich, dass ich die Aufgabe nicht mitmachen würde und versank in einem Gefühlssturm in meinem Inneren aus Angst, Scham und Selbstkritik. Irgendwann hieß es dann Wasser Marsch.

Na super – jetzt weinst du auch noch vor der Gruppe!

Keiner der anderen stellt sich so an wie du!

Mein Impuls war, aus dem Raum zu fliehen. Aber ich blieb sitzen und hielt tatsächlich bis zum Ende durch. Darauf bin ich stolz.

Die nächsten Stunden versuchte ich, mich runterzuregulieren, was aber nur bedingt klappte. Schreiben und Telefonieren mit einer lieben Freundin, Mandalas ausmalen, mich in die Ruhe meines Zimmers zurückziehen, für mich analysieren, welche alten Muster hinter diesen heftigen Gefühlen stecken könnten – all diese Dingen halfen, aber eben nur langsam. Meine Gefühle erschienen mir so mächtig, dass ich meinte, darin zu ertrinken. Es fühlte sich an wie totaler Kontrollverlust. Und ich hasse Kontrollverlust und Hilflosigkeitsgefühle …

Gerne hätte ich mit meiner Einzeltherapeutin gesprochen, aber sie war an diesem Tag nicht im Haus. Zu einem der anderen Mitarbeiter traute ich mich nicht, da ich sie noch nicht so gut kenne. Ich überlegte, ob ich mir mein Bedarfsmedikament holen sollte, aber auch das setzte etwas voraus, was mir noch schwer fällt: zur medizinischen Zentrale gehen und mein Anliegen erklären. Ich hatte Angst, mich vielleicht rechtfertigen zu müssen oder ein „Nein“ zu hören zu bekommen. Außerdem grübelte ich darüber, ob das nicht Vermeidungsverhalten wäre: ein Medikament nehmen und damit die unliebsamen Gefühle wegdrücken, wo ich doch lernen sollte, sie zuzulassen? Aber andererseits: Wäre es nicht vernünftig, die hohe innere Anspannung mit Hilfe des Medikaments zu beenden, um mich dadurch regenerieren und neue Kraft tanken zu können? (Grübelte sie mal wieder ohne klares Ergebnis.) Irgendwann schloss ich dann mit mir selbst den Deal, noch ein paar Stunden abzuwarten. Sollten Angst und Co. bis dahin nicht besser sein, wollte ich aller Angst zum Trotz zur MZ marschieren und mir Bedarf holen.

Aber das war gar nicht nötig, denn irgendwann war sie vorbei, die Emotionswelle. Was am Ende dazu beigetragen hat, kann ich gar nicht so wirklich sagen. Vielleicht konnte es erst besser werden, als ich aufgehört habe, mir selbst Druck zu machen?

Diese schrecklichen Gefühle sollen jetzt sofort aufhören!“

Oder lag es eher daran, dass ich aufgehört habe, zu katastrophisieren?

Ich halte diese Gefühle nicht aus! Es fühlt sich so an, als würde es niemals enden!“

An den verschiedenen Skills?

Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich eine Mischung aus allem. Heute schaffte ich es jedenfalls, meine Scham und mein Leistungsdenken sowie die ewige Vergleicherei zu überwinden:

Du solltest das inzwischen allein ohne Hilfe schaffen! Wenn du deine Therapeutin fragst, bist du schwach oder nervst sie!

Anderen hier geht es schlechter als dir, sie haben mehr Recht als du auf Hilfe als du!

Ich vertraute mich meiner Bezugstherapeutin über die gestrige Situation an und hatte ein gutes Gespräch mit ihr, das mir geholfen hat, die Situation besser zu verstehen und mir Handlungsmöglichkeiten für ähnliche Situationen in der Zukunft aufzuzeigen.

Plus: Nelia füllt jetztauf Anweisung hin eine Woche Anspannungsprotokolle aus und lernt das Skillen 😙