Halt finden

Wenn ich zu einem Termin gehe, der mit schwierigen Gefühlen verbunden ist, trage ich gerne einen Glücksbringer bei mir.

Wobei Glücksbringer eigentlich nicht das passende Wort ist. Ich glaube nämlich nicht, dass dieser Gegenstand mir Glück bringt. Vielmehr soll er mich an Eines erinnern: dass ich geliebt wurde bzw. werde. Klingt kitschig – aber der Gedanke daran gibt mir Kraft und Mut. Zum Beispiel, wenn ich mich meiner Angst bei einer mündlichen Prüfung stellen muss, ein Vorstellungsgespräch für meinen Wunschjob habe, oder wie diese Woche eine Therapieübung ansteht, die mich emotional aufwühlt.

Dann habe ich das Gefühl, von meinen Lieben beschützt und begleitet zu werden. Ähnlich wie Harry Potter im letzten Band, als er den Stein der Auferstehung benutzt und umgeben von den Geistern seiner Eltern und Vertrauten zur finalen Schlacht gegen Voldemort zieht.

Am liebsten nehme ich in solchen Momenten ein Erinnerungsstück an meine Oma mit: den Ring, den ich von ihr geerbt habe, manchmal auch das Armband, das sie mir während meiner Grundschulzeit geschenkt hat. Die Stabilisierungsübung vom sicheren Ort funktioniert bei mir nie so gut wie das Tragen dieser „Glücksbringer“ oder Gedanken an meine Großmutter. Die bedingungslose Liebe, die ich von meiner Oma erfahren habe, ist eine der wertvollsten Erinnerungen in meinem Leben und heute noch eine Kraftquelle für mich.

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Angemeldet!

Geschafft – ich habe meine Anmeldeunterlagen für die stationäre Therapie in einer auf Zwangsstörungen spezialisierten psychosomatischen Klinik abgeschickt und warte nun auf Rückmeldung.

Zuvor hatte ich das Ausfüllen der Formulare wochenlang vor mir hergeschoben. Es war mal wieder typisch für mich: Ich weiß im Voraus, dass mir eine bestimmte Sache gut tut/tun wird, schiebe sie dann aber trotzdem immer wieder auf. Mit einem kleinen Anstupser von Seiten meiner Therapeutin in der letzten Therapiestunde hat es nun aber geklappt. Dabei kam auch die Frage auf: Wovor habe ich da eigentlich Angst?

Gute Frage, die ich gar nicht so einfach beantworten kann. Ich vermute, da kommt Verschiedenes zusammen:

  • meine generelle Ängstlichkeit in Bezug auf fremde Menschen und neue soziale Situationen
  • dass sich die Klinik relativ entfernt von meinem Wohnort befindet und mich mein Mann, meine Familie und meine Freunde dann nicht mal einfach so eben besuchen können. Die Fahrtkosten werden auch zu hoch sein, um jedes therapiefreie Wochenende zuhause zu verbringen. Der regelmäßige Kontakt mit meinen Lieblingsmenschen ist etwas, dass mir bei meinen beiden vorausgegangenen stationären Behandlungen oft Kraft gegeben hat. Darum sehe ich dem Wegfallen davon mit einigem Bauchgrummeln entgegen.
  • widersprüchliche Gefühle und Gedanken in Bezug auf die Therapie dort. Einerseits die blödsinnige Befürchtung, nicht krank genug zu sein (dass die Mitarbeiter denken könnten, was ich dort will, gibt es doch noch Patienten mit schlimmer ausgeprägten Zwängen als bei mir. „Hey, Erde an Nelia: Du hast eine seit 15 Jahren bestehende Zwangserkrankung, eine Angsterkrankung und mehrere schwere depressive Episoden hinter dir – warum glaubst du, dass das nicht reicht?“).  Und : Wenn es mir dort in der Spezialklinik nichts bringen sollte? Wenn, wenn wenn –
  • Und, um es noch widersprüchlicher zu machen: Einerseits will ich die Zwangserkrankung, die Depression und Co. loswerden, andererseits habe ich aber auch genau davor irgendwie Angst. Die Vorstellung eines zwangsfreien, depressionsfreien Lebens ist so schön – und gleichzeitig beängstigend, weil ich so ein Leben nun schon seit Jahren nicht mehr hatte bzw. wenn, dann nur phasenweise. Was bleibt, wenn meine Erkrankungen wegfallen? Bin ich überhaupt stark und mutig genug, um mit meinen Gefühlen und dem unvermeidlichen Auf und Ab des Lebens ohne Zwänge, Trichotillomanie und meine anderen ungesunden Bewältigungsstrategien umzugehen?
  • Bammel vor den Expositionsübungen, von denen ich weiss, dass sie dort ein wichtiges Fundament der Therapie bilden und mir aller Wahrscheinlichkeit nach sehr helfen werden (das haben sie in der Vergangenheit nämlich schon), aber eben auch mordsanstrengend sind, da man mit seinen Ängsten und schlimmsten Zwangsgedanken konfrontiert wird.

Im Nachhinein fällt mir selber auf, in diesem Post steckt verdächtig oft das Wort Angst … Stimmt, da war ja was, hallo Angsterkrankung 😉

Das liest sich jetzt alles wohl eher recht negativ. Aber ich kann ehrlich sagen, dass ich trotz aller Angst auch mit Hoffnung und Motivation hoffentlich im nächsten Jahr dort hingehen werde: Hoffnung und Motivation auf/für noch mehr Lebensqualität, mehr Leichtigkeit und weniger Schwere in meinem Leben. Ich möchte lernen, mich selbst anzunehmen, so wie ich eben bin und zu mögen. Ich möchte glücklicher werden, noch mehr leben statt zu überleben oder einfach so vor mich hinzuleben. Tschakka!

Der Sport und ich

… oder auch: Ein kleines Wunder ist geschehen, nun muss es nur noch von Dauer sein 😉

Wie ich schon einmal geschrieben hatte, bin ich nicht gerade sportlich, sondern eher eine Coach-Potato. Meine Hobbys und Interessen sind fast alle ruhiger Art. Während meine Familie und mein Mann Freude am Sport haben, habe ich abgesehen von einigen kurzen Motivationsanflügen, die dann wieder im Sande verliefen, in den letzten Jahren einen Bogen um sportliche Aktivitäten gemacht. Dabei wusste ich natürlich, dass sich Sport positiv auf  meine Erkrankungen auswirken kann und bin auch von meiner Familie und meiner Therapeutin mehrmals darauf hingewiesen worden. Nun ja *hust*

Während meines ersten Klinikaufenthalts hatte ich mehrere Sporteinheiten in meinem Wochenplan. Das reichte von Schwimmen über Gymnastik bis zu Walken und Ballsportarten. Und ich merkte, diese sportlichen Aktivitäten taten mir gut. Meine alte Freude am Schwimmen wurde wieder wach und auch Basketball und Co. machten mir Spaß, obwohl die Gruppensituation für mich immer erst mit Angst und Überwindung verbunden war. So nahm ich mir vor, nach der Entlassung daran festzuhalten.

Doch nach einigen Wochen war der gute Vorsatz bereits wieder im Alltag untergegangen. In dieser Manier ging es in den folgenden Monaten weiter.

Jetzt in der Tagesklinik ist Sport wieder ein fester Bestandteil meiner Woche und ich merke abermals, noch mehr als damals, wie gut mir das eigentlich tut.

Oha, ich habe ja einen Körper und ich kann etwas damit anfangen!

Ich bin ja doch mehr als meine endlosen Grübeleien und Zwangsgedanken!

Das Walken, die Gymnastik und Yogaübungen und vielleicht noch mehr das Ausdauertraining in den letzten Tagen haben einen positiven Einfluss auf meine Gesamtverfassung gehabt, gerade was Derealisation und Depersonalisation angeht. Deutlicher als in den Jahren zuvor erkenne ich jetzt, dass es mir gut tut, meinen Körper zu bewegen und zu spüren. Darum möchte ich gerne daran festhalten und regelmäßig Sport machen.

Mindestens 2 Mal die Woche Walken zu gehen war mein Ziel für diese Woche und hat tatsächlich geklappt. Für andere vielleicht keine große Sache, für mich etwas, auf das ich schon etwas stolz bin. Jetzt gilt es, dran zu bleiben, auch während Motivationstiefs, die irgendwann ganz sicher wieder kommen werden. Später, wenn der Rythmus einigermaßen gefestigt ist, würde ich dann gerne noch andere sportliche Aktivitäten wie Schwimmen oder Fitnessstudiobesuche in meine Woche integrieren.