Nicht so gut

Seit circa Mitte November habe ich den Verdacht, eine neue depressive Episode könnte sich anbahnen. Sicher bin ich mir allerdings nicht – weil es mir immer noch schwer fällt, eine beginnende Depression von einer vorübergehenden Stressphase abzugrenzen. Bei meinem Ambulanztermin gestern sprach ich mit meiner neuen Ärztin darüber.

Wir sind jetzt so verblieben, dass ich versuche, bis zur Klausur Anfang März wie gehabt weiterzumachen mit Arbeiten und Lernen und wir danach schauen, ob noch mal Tagesklinik eine Option wäre. (2017 habe ich dort viele gute Erfahrungen machen dürfen.) Oder eine Ergänzung der Medikation (wovon ich aber aus verschiedenen Gründen nicht begeistert wäre und es deswegen auch nicht wirklich in Erwägung ziehe).

Ich habe ihr versprochen, mich vor unserem nächsten regulären Termin zu melden, falls es zwischenzeitlich schlechter werden sollte. Ein Teil von mir würde gerade am liebsten im Büro auf der Arbeit alles stehen und liegen lassen und es heute noch tun, dieses sich Melden. Sagen, dass ich nicht mehr kann.

Aber mir ist auch klar, dass das wohl zu einem guten Teil Vermeidungsverhalten wäre: Weglaufen vor der anstrengenden Chefin, der schwankenden Situation zu Hause, der Prüfungsangst.

Vielleicht wäre eine neue depressive Episode genau das: Flucht. Flucht in Schwermut, Gefühllosigkeit und Stillstand meines normalen Alltags, weg von allem, was weh tut. Und ich wollte/will doch nicht mehr flüchten … Und soll für meine Genesung lernen, (unangenehme) Gefühle zuzulassen und auszuhalten. Nicht mehr so sehr wie früher auf Rettung von außen hoffen, sondern mir selbst mehr zutrauen – weil ich jetzt erwachsen bin und viele Dinge beeinflussen kann, auch wenn es sich oft noch nicht danach anfühlt.

Also bleibe ich in meinem gewohnten Alltag, zumindest heute bzw. jetzt gerade bis zum Feierabend. Und danach kann ich immer noch neu entscheiden, Tag für Tag.

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Tief

Die Depression greift seit einigen Tagen nach mir, gefühlte Tendenz Richtung schlechter statt besser werdend. Ich spüre ihre Präsenz in den Momenten, in denen ich mich leer und gefühllos fühle. Dann, wenn der Abwasch oder andere alltägliche Kleinigkeiten mir wie eine große Herausforderung erscheinen, wenn ich abends im Bett liege und Probleme mit dem Einschlafen habe und immer dann, wenn sie versucht, mir Gedanken an die vermeintliche Sinnlosigkeit von allem einzuflüstern.

Ob es am Stress der letzten Wochen liegt, eine Folge der vermehrten Zwangsgedanken und Angstsymptome ist, mit denen ich das Vergnügen hatte, oder am tristen Wetter (meine letzten beiden schweren depressiven Episoden begannen beide im Oktober – November)?

Ich weiss es nicht und es spielt wohl auch keine Rolle. Rezidivierende Depressionen kommen eben gerne wieder, sagt uns ja schon der Name, ne 😒 Läuft bei meinen depressiven Verwandten leider größtenteils ähnlich, so wie ich das mitbekomme.

Wie das noch mal mit der Achtsamkeit? Annehmen, was ist.

Also gut, dann nehme ich diese depressive Verstimmung, das vorübergehende Tief, wenn es sein muss auch eine weitere depressive Episode, eben an.

Ich hatte einige wunderbare symptomfreie bzw. -arme Wochen nach der Tagesklinik. Ich hatte auch schon (fast)depressionsfreie Jahre seit der Diagnose. Das will ich wieder und das kann ich auch wieder schaffen. Ob ich das große Ziel erreiche, die völlige Genesung, ist mir daneben erstmal nicht so wichtig. Lebensqualität zählt mehr als der Stempel „geheilt“.

Hörst du das, Depression, du ***? Du kriegst mich dieses Mal genau so wenig wie die Male zuvor. Vielleicht willst du mir etwas mitteilen? Ich werde dir zuhören und versuchen herauszufinden, was es ist. Danach wirst du gehen. Und ich werde leben.

Eine haarige Angelegenheit

Ich kenne das schon aus der Vergangenheit: Habe ich Erfolge damit, meine ungesunden Strategien zum Händeln meiner Gefühle auf einer Ebene anzugehen, flammt dafür eine andere Ebene auf.

Ein Beispiel: Ich hatte in den letzten Wochen nur noch sehr selten Panikattacken und auch die Depressionssymptome sind deutlich reduziert. Beides Entwicklungen, für die ich dankbar bin! Es bringt mir so viel mehr an Lebensfreude.

Aber: Ich reiße mir zur Zeit fast täglich Haare aus und neige dazu,  zu essen, auch wenn ich keinen/wenig Hunger habe, aber traurig oder frustriert bin.

Ich sehe das alles als Zeichen dafür, dass sich schon einiges verbessert hat durch die Tagesklinkzeit und die vorherige Behandlung. Bestimmte Verhaltens- und Denkmuster sind aber so tief in mir verankert, dass ich noch einige Zeit und harte Arbeit darin investieren muss, um mich von ihnen zu lösen und mir gesündere anzutrainieren. Ganz vorne mit dabei an dysfunktionalen Gedanken und Überzeugungen:

Nur wenn ich etwas leiste, überdurchschnittlich gut bin in etwas, bin ich etwas wert.“

(Gerade „nur“ zuhause zu sein und noch keine Klarheit zu haben, ob/wie es mit meinem Studentenjob weitergeht und aktuell kein eigenes Einkommen zu haben, fällt mir schwer. Es nagt ziemlich an meinem Selbstwertgefühl.)

Starke Gefühle blocke ich besser gleich ab. Ich muss sie unter Kontrolle haben, sonst ertrage ich es nicht.“

Momentan ist es vor allem die Trichotillomanie, auf die ich zum Kompensieren mehr oder weniger bewusst zurückgreife. Anspannung? Angst? Langeweile? Wut auf mich oder andere? Schuldgefühle?

-> Haare rausziehen.

Da ich das selten mit der bloßen Hand, sondern meist mit einer Pinzette tue, gibt es als Ergebnis öfters hässliche Flecken auf der Haut, über die ich mich hinterher ärgere und für die ich mich schäme.

Heute dachte ich eigentlich, ich hätte es im Griff, habe dem in einem Moment sehr drängenden Impuls widerstanden und spürte leichten Stolz – um dann etwas später, als der Impuls gar nicht so stark wie vorher war, doch zu reißen. Grhh…

Wie war das noch mal mit dem Selbstmitgefühl, Akzeptanz und der Achtsamkeit? Jeder Tag, jede Stunde ist eine neue Chance oder so. In diesem Sinne: Auf dass es morgen besser hinhauen möge. Ich überlege mir schon mal Skills für’s nächste Mal, wenn mir meine Gefühle Angst machen und ich sie durch die Trichotillomanie, Essen oder Zwänge wegschieben will …