Herausfordernd

Fünf Wochen bin ich nun schon in der Klinik und wage zu sagen, dass bisher wohl kein Klinikaufenthalt so herausfordernd für mich war wie dieser.

Ob das daran liegt, dass wir uns hier intensiv mit der Zwangsstörung beschäftigen, die mich von meinem Erkrankungen ja am längsten begleitet und sich dementsprechend verfestigt hat? Einen Teil dazu trägt sicher auch bei, dass ich gerade weit weg von Zuhause bin und mich öfters einsam fühle wenn ich sehe, dass meine Mitpatienten zur Belastungserprobung am Wochenende nach Hause gehen oder Besuch bekommen.

Ich merke immer wieder, wie viel Erfahrungen sie hier auf Station haben mit der Behandlung von Zwangsstörungen. Wie gut wäre es gewesen, wäre ich damals bei Erkrankungsbeginn direkt hier hin gekommen …

Bisher habe ich schon zwei Expositionsübungen gemacht (weitere folgen) und erarbeite mir gerade einen anderen Umgang mit meinen Zwangsgedanken. Das setzt tägliches Üben und das Überwinden von Ängsten und Scham voraus.

Ehrlich gesagt habe ich trotzdem wiederholt den Gedanken gehabt, den Aufenthalt abzubrechen. Weil ich das Gefühl hatte, das alles nicht aushalten zu können, dass es mich überwältigt.

Aber: Aufgeben gilt nicht.

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Existentielle/philosophische Zwangsgedanken

In diesem Post möchte ich euch eine Form von Zwangsgedanken vorstellen, die im deutschsprachigen Raum weniger bekannt zu sein scheint als im englischsprachigen und unter der ich aktuell am meisten leide: existentielle Zwangsgedanken oder auf Englisch „existential OCD“. Ich persönlich nenne sie für mich auch philosophische Zwangsgedanken.

Was genau man sich darunter vorstellen kann? Kurz und knapp: Zwangsgedanken, die sich um philosophische bzw. existentielle Fragen drehen. Das können Fragen sein wie:

„Gibt es einen freien Willen?“

„Ist unser Leben vorherbestimmt?“

„Ist die Welt um mich herum wirklich echt oder ist es vielleicht nur eine Scheinrealität wie in „Matrix“?“

Solche Fragen bzw. Überlegungen drängen sich Menschen mit „existential OCD“ immer wieder auf und erzeugen unangenehme Gefühle – in meinem Fall wäre das Angst, die sich bis hin zu Panikattacken steigern kann. Eine darauf folgende Zwangshandlung könnte sein, stundenlang über derartige Fragen nachzugrübeln odef innerlich Argumente abzuwägen. („Was spricht dafür/dagegen, dass alles vorherbestimmt ist? “ etc.). Man spräche ich diesem Fall von mentalen Zwangshandlungen, da Grübeln ja etwas ist, das nach außen hin nicht sichtbar ist.

Ich empfinde diese Art von Zwangsgedanken als quälend, weil mit ihnen für mich die Angst einhergeht, den Verstand zu verlieren, da ich ja scheinbar so „verrückte“ Dinge denke. Verstärkt wird dieser Mechanismus besonders, wenn ich gleichzeitig noch unter Derealisation oder Depersonalisation leide. Ebenfalls als belastend erlebe ich den Umstand, dass es ja nun einmal keine endgültigen Antworten auf solche philosophische Fragen gibt, sondern nur viele verschiedene Antwortversuche, z. B. seitens der Philosophie und Religionen. Ein Umstand, den mein zwangsgestörtes Gehirn mit seinem Wunsch nach absoluter Gewissheit so gar nicht lustig findet 😉

Filme wie Matrix oder die Trueman-Show mag ich mir in Folge dessen seit einiger Zeit nicht mehr anschauen und im Studium habe ich damals das Philosophiemodul abgebrochen, da es mich innerlich ganz konfus gemacht hat. Klares Vermeidungverhalten, liebe Mit-Zwängler, bitte nicht nachmachen …

Für Außenstehende hört sich das Ganze vielleicht skurill an, weil es sehr abstrakt anmutet. Doch wie bei allen Zwangsgedanken und Zwangshandlungen gilt auch hier: Für Betroffene ist die Lage mit Leidensdruck verbunden.

Hilfe bieten wie bei anderen Zwangsthemen auch Expositionübungen und ein Abbau des Vermeidungverhaltens.

Hier der Link zu einem sehr guten englischsprachigen Artikel zum Thema:

To Be Or Not To Be, That Is The Obsession: Existential and Philosophical OCD

Gekonnt ignoriert

Und auf einmal ist der Februar schon fast herum, während meine innere Uhr auf Anfang Januar stehen geblieben ist, zu jenem Zeitpunkt, bevor die neue depressive Episode über mich hereinbrach wie ein Gewitter über einen warmen Sommerabend.

Wenn ich genauer hinschaue, wird allerdings deutlich, dass diese Depression sich gar nicht so plötzlich angebahnt hat, sondern es im Vorfeld einige Frühwarnzeichen gab. Nur leider habe ich sie nicht  als solche erkannt oder sie auf andere Umstände zurückgeführt. Die kurze Phase im November, als ich gespürt habe, dass gerade etwas absolut nicht in Ordnung ist, haben rückblickend weder meine Behandler noch ich ernst genug genommen.

Erschöpfung tagsüber, Muskel- und Gelenkschmerzen? – Das kommt bestimmt noch von dem Infekt, den ich hatte und der sich so hingezogen hat.

Das Bedürfnis, Verabredungen mit Freunden abzusagen oder früher nach Hause zu gehen? – Liegt sicher an der Vorweihnachtszeit und dem Stress wegen x/y/z.

Keine Freude mehr auf ein Ereignis, auf das ich monatelang hingearbeitet habe? – Schulterzucken.

Im Nachhinein hat es mich ein wenig erschrocken, wie gut ich mich anscheinend selbst an der Nase herumführen bzw. mir Dinge schönreden oder verdrängen kann, die nicht zu meinen Konzept davon passen, wie die Dinge zu laufen haben. Bei mehreren depressiven Episoden in der Vergangenheit sollte man eigentlich davon ausgehen, dass frau ihren Körper und ihre Psyche gut genug kennt, um einen Rückfall rechtzeitig zu erkennen … Oder eben auch nicht.

Fairerweise muss ich aber dazu sagen, dass diese Depression nicht alleine kam, sondern sich über Wochen im Vorfeld schon Zwangsgedanken eingeschlichen hatten –  zu anderen, neuen Themen als meinen gewohnten und die ich darum länger nicht als solche erkannt habe. (Meine Therapeutin nannte das Symptomverschiebungen). Erst im Nachhinein, nachdem der Stationsarzt und ich in der Klinik den Symptomfragebogen gemeinsam durchgingen, fiel es mir wie Schuppen von den Augen.

Wie dem auch sei, nun kann ich es nicht mehr ändern und nur noch darauf achten, beim nächsten Mal  achtsamer mit mir umzugehen und im Alltag mehr auf meinen Körper und meine Seele zu hören.